Ungezogene Würmer fraßen neugierige Kinder, und wandernde Giraffen überprüften, ob die Anwohner ihre Balkone richtig sauber gemacht haben!
Am Tag nach dem schlimmsten Unwetter seit Jahren erfreute Gott sei Dank warmer Sonnenschein das Ludwigshafener Straßentheater. Die Schäden, dass die Sturmböen und die gewaltigen Wassermengen angerichtet hatten, waren großteils beseitigt worden, und auch die Bismarckstraße, die sich gestern Abend in wenigen Minuten in einen großen See verwandelt hatte, war von den Feuerwehrleuten trockengelegt worden, sodass die Künstler heute hier problemlos auftreten konnten.
Dennoch erfüllte nicht nur uns eine große Traurigkeit, denn drei der Künstler, die wir sehr gerne mit ihren Produktionen gesehen hätten, konnten leider nicht mehr auftreten, da das Unwetter nicht nur ihre Aufbauten, sondern auch die komplette Technik zerstört hatte. So mussten wir auch heute am zweiten Tag unser Programm ein wenig abspecken, und akzeptieren, dass wir auch in diesem Jahr nicht alle Künstler und Gruppen vorstellen können, was wir sehr gerne gemacht hätten, weil sie, und ihre außergewöhnliche Kunst und Fähigkeiten, es wirkliche alle Wert gewesen wären, über sie zu berichten.
Unser zweiter Tag begann mit dem Bewegungs- und Maskentheater Rue Pietonne. Die urwitzige deutsch-französische Theatergruppe aus Frankreich, präsentierte uns ein Schauspiel außergewöhnlicher Röhrentiere (vielleicht moderne Science-Fiction-Würmer), die, begleitet von teils grunzenden und blökenden Hintergrundgeräuschen, durchaus eine Verwandtschaft mit vielfräßigen Schweinen oder widerkäuenden Kühen und grasenden Schafen haben könnten.
Das Schauspiel, welches ganz harmlos anfing, entpuppte sich jedoch schon bald zu einem ganz chaotischen Szenario, bei dem der Hirte große Probleme hatte, seine Horde in Zaun zu halten. Allen voran, der ungezogene und stark verhaltensauffällige Antoine hielt ihn unheimlich auf Trapp. Urkomische Szenen entstanden, bei denen es unter den Würmern nicht selten zu heftigen Streitereien und auch körperlichen Auseinandersetzungen kam. Irgendwann kratzte sich einer der vier ganz cool an einer Hecke. Ein anderer hatte Hunger und verschlang mit seinem großen Maul nicht nur etliche Kleidungsstücke und Handtaschen der Zuschauer, sondern wollte auch noch ein neugieriges Kind verschlingen.
Den Jungen bereits in der Öffnung des Mauls, eilte der mittlerweile dauerrotierende Hirte noch rechtzeitig zu Hilfe und schimpfte mit seinem Zögling, im wahrsten Sinne des Wortes, wie ein Rohrspatz. Parallel zu dieser lebensbedrohlichen Situation begannen zwei Würmer im Hintergrund sich auf sehr unkonventionelle Art und Weise fortzupflanzen. Wenig später bekam der böse Antoine einen „Kinnhaken“ oder besser gesagt einen „Rohrhaken verpasst, und fiel wie tot zu Boden. Wiederbelebung war nun angesagt, und das in Form von „Mund-zu-Rohr-Beatmung“. Es war wirklich ein Heidenspaß, was die vierköpfige Combo hier dem Publikum bot.
Danach hieß es Bühne frei für „Die Meiers“. Das Berliner Duo bietet eine der außergewöhnlichsten Trapez-Shows der Welt. Er, ein sprühender „Möchtegern-Johnny-Cash“ und Sie eine begnadete Bassisten mit unglaublich viel Sexappeal vollziehen nach ihrer einzigartigen Konzertshow die Heirat, und kamen bereits in ihrer Hochzeitsnacht in ganz große Turbulenzen, weil das Licht nicht funktionierte. Bärenstarke Clownesque gepaart mit ultrakomischer Gestik und Mimik bestimmten die erste gemeinsame Liebesnacht und die Zuschauermenge zum Schmunzeln.
Das Trapez zu erreichen, um an die Lampe heranzukommen, war allerdings nicht möglich, was ihn – den Bräutigam – dazu veranlasste eine Leiter zu holen.
Das Stück „Just Married“ entwickelt sich nun zum Situations-Chaos, denn die Leiter war leider auch zu klein, um das Trapez zu erreichen. Sie – die Braut – versuchte verzweifelt ihren Rock zuzumachen, damit die Zuschauer ihre antike Unterwäsche nicht sehen konnte, und er – der Bräutigam – kam unter tosendem Beifall auf die Idee seine Hose auszuziehen, um damit das Trapez zu erreichen.
Danach zeigten die beiden Artisten hochkarätige Zirkusakrobatik mit unglaublich genialen Posen. Immer begleitet von den exzellenten „treudoofen“ Blicken Frau Maiers, die in ihrem Kostüm und mit der gespielten „Steifheit“ zu keiner Zeit wie eine Artistin wirkte, aber zusammen mit ihrem Mann in einer großartigen 30-minütigen Darbietung brillierte, und dabei die schier unmöglichsten Kunststücke an den Händen ihres Gatten vollführte. Ganz großes Kino wurde hier geboten.
Ein Objekttheater der ganz besonderen Art erwartete uns als nächstes in der Bismarckstraße. Lebensgroße Giraffen der holländischen Künstlergruppe Teatro Pavana versammelten sich hier, um von staunenden Kindern und Eltern nicht nur betrachtetet zu werden. Übers Köpfchen streicheln war nicht nur erlaubt, sondern sogar herzlich willkommen. Unglaublich lieb und lebensecht präsentierten sich die stolzen Vierbeiner. Mächtig ragten die gelb-braunen Langhälse über die Bismarckstraße hinweg und hielten ab und zu auch Ausschau danach, ob die Bewohner auch schön brav ihre Balkone sauber gemacht haben oder ihre Blumen gegossen.
Posieren war natürlich auch erlaubt, denn es kommt ja nicht jeden Tag vor, dass man mit einer Giraffe aufs Bild darf. Aber genau das, ist ja das ganz besondere des Straßentheaters. Jeder Künstler bietet irgendetwas Großartiges, mal lustiges, mal staunendes, mal trauriges.
Und damit kommen wir zur nächsten Gruppe Markeliñe. Das Künstlerkollektiv aus Bilbao feierte in Ludwigshafen Premiere ihres neuen, sehr, sehr ernsten Stücks „Andante“. Mit beeindruckenden Masken inszenierten die drei Künstler ein unglaublich aufwendiges Wander-Theater über vier Stationen durch die Stadt. Begleitet von einer getragenen Dudelsackmusik näherte sich das Trio dem ersten Schauplatz, der aussah, als hätte gerade eine Bombe eingeschlagen. Viele Schuhe lagen zwischen den Trümmern herum, und die dramatische Musik verbunden mit den schreckensgezeichneten Masken und dem ängstlichen Spiel der drei Akteure machte uns sehr schnell deutlich, dass wir uns gerade im Krieg befanden, und die Schuhe die toten Soldaten symbolisierten. Langsam begannen die drei vom Krieg gezeichneten Akteure die Schuhe aufzulesen, als plötzlich ohrenbetäubender Flugzeuglärm über der Szenerie erklang, und die drei vor Angst auf der Bühne einfroren.
Beeindruckend, wie uns Markeliñe den Schrecken des Krieges auf ganz sachte Weise vor Augen führte. Nach den Luftangriffen sammelten die drei Protagonisten die restlichen Schuhe auf, und nahmen auch einen zerbrochenen Spiegel mit in ihr zerbrochenes Leben.
Bei der zweiten Station verteilten sie die Schuhe an bedürftige Menschen. Auch diese gute Tat wurde jäh von Kriegstreiben unterbrochen, denn heranmarschierende Soldaten stoppten urplötzlich. Kurz darauf fielen mehrere Schüsse. Unsere drei Hauptdarsteller standen angsterfüllt mit erhobenen Händen da, und zitterten am ganzen Leibe. Sie waren offensichtlich gerade Augenzeugen von Hinrichtungen geworden. Marschierende Schritte setzten ein und entfernten sich, und mit ihnen wenig später auch unsere drei Akteure zu der nächsten Station. Wie das ganze ausgeht, möchten wir euch allerdings nicht verraten.
Nach so viel Ernsthaftigkeit präsentierte uns „nakupelle“ den völligen Kontrast, nämlich der Amerikaner Joe Dieffenbacher servierte uns Commedia dell’Arte, gemischt mit Slapstick und pantomimischer Mitmach-Comedy par excellence. Dafür benötigte Dieffenbacher lediglich eine Haushaltsleiter verbunden mit dem genialen Thema eine verblühende Blume der Sonne näherzubringen und dafür den Blumentopf auf einen unsichtbaren Balkon zu befördern.
Erstmals beginnt ein Programm ein wenig früher als geplant, quasi ein Prolog-Programm, bei dem der Gärtner zunächst einmal die Kinder aber auch einige Eltern bequem auf einem Rasenstück platzierte. Interessanter Weise verändert sich die Uhrzeit des Programmstarts immer weiter nach vorne. Aus 20.03 Uhr wird 20.02 Uhr, und dann 20.01 Uhr und schließlich beginnt Dieffenbacher pünktlich um 20.00 Uhr seinen Slapstick, den man nicht wirklich in Worte fassen kann, sondern einfach gesehen haben muss.
Genial mit welcher clownesque einerseits, und welcher Körperbeherrschung „schusselig spielend“ andererseits es der Akteur innerhalb seiner 30-minütigen Show schaffte, artistische Höchstleistungen darzubieten und die Zuschauer mit ganz überraschenden Ereignissen in Verblüffung zu versetzen. Über das komplette Schauspiel hinweg integrierte er Kinder und Zuschauer, die prima mitspielten, und dafür natürlich auch einen Riesenapplaus des Publikums bekamen.
Das Straßentheater ist und bleibt für uns das mit Abstand schönste Kulturhighlight der Metropolregion Rhein-Neckar. Wir freuen uns schon jetzt auf nächstes Jahr.
Bilder: Alexander Höfer
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ANIMUS KLUB
Lieber ein schönes Straßentheater, als ein unschönes Theater mit der Polizei!
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